Wilco – How To Fight Loneliness
Über ihrem Kopf baumelte eine kleine, halb durchsichtige Spinne. Der Wind schaukelte das fragile Tier, das sich von einer Kokospalme gefährlich nahe an ihr Gesicht herabgeseilt hatte, schwungvoll hin und her. Sie bewegte sich nicht, richtete den Blick wie hypnotisiert auf die tanzende Spinne. Zwischen den Palmenblättern blitzte die Nachmittagssonne hindurch und malte Streifenmuster auf ihre nackten Beine. Sie grub ihren Arsch noch ein bisschen tiefer in den Sand. Dieser schöne, warme Sand. Ich möchte mich panieren, dachte sie. Ich möchte so tun, als wäre ich nichts als ein Stück paniertes Fleisch. In der tropischen Hitze herausgebraten mit 100 Prozent Sonnenöl. Yummy.
Als sie noch jünger war, im Teenageralter, aber auch noch eine Zeit lang danach, waren ihr Strandurlaube zutiefst zuwider gewesen. Nie im Leben fahr ich mit euch nach Scheiß Italien! Bevor ich mit euch nach Scheiß Griechenland fliege, mach ich lieber Ferien im Knast! Ich werd ganz sicher nicht mit euch nach Scheiß Thailand mitkommen! So war das damals, wenn ihre Eltern höflich fragten, ob sie vielleicht Lust hätte auf eine Woche Ausspannen, gratis und alles inklusive. Nope. Sie wollte lieber in coole Städte reisen. London, das ist meine Lieblingsstadt, in Barcelona gibt es die besten Clubs, in Stockholm haben die wirklich wirklich Stil – so funktionierte das in ihrem Kopf. Damals.
Sie drehte sich auf den Bauch. Der Wind hatte das kleine Spinnentier davon getragen. Sie drückte ihr Gesicht mit geschlossenen Augen flach auf den Boden, ihre Nase bohrte kleine, schattige Canyons in den Sand. Bitteschön, mach jetzt bloß nicht dein Maul auf, dachte sie, während es bereits zwischen ihren Zähnen zu knirschen begann.
Als sie noch klein war, im Kindergartenalter, aber auch noch eine Zeit lang danach, hasste sie es, in der Sandkiste mit den Nachbarskindern zu spielen. Zu tief saß ein frühes traumatisches Erlebnis, als der damals zweijährige Günther ihr, die sie wohl im selben Alter gewesen sein musste, mit einem großen Stein beim netten Sandkisten-Date auf den Kopf geschlagen hatte.
Pling. Sie streckte ihren linken Arm zur Seite und suchte mit ihrer Hand nach der Tasche, die da irgendwo neben ihr lag. Ihr Gesicht ließ sie dabei im Sand begraben. Pling. Pling. Sie schob ihren Körper ein Stückchen in die Richtung, in der ihre Hand nach der Tasche suchte. Ihre sandigen Finger stießen auf ein Stück Stoff, sie holte ihr Gesicht aus der Mulde und strich sich mit dem rechten Arm über die Augen, die sie weiter geschlossen hielt. Von überall rieselten die kleinen Sandkörner von ihr herab. Sie zog ihr Smartphone und ein Bikini-Oberteil aus der Tasche. Pling.
Sie wischte sich mit dem schwarz-weiß gepunkteten Bikini-Oberteil die Augen sandfrei. Dann versuchte sie mit ihren verklebten Fingern das Telefon zu entsperren. Pling.
“Do u miss me?”
“;)”
“Do u?”
“Wo bist du gerade?”
“Der Hund hats nicht geschafft…”
Ich kann das jetzt nicht, dachte sie. Ich kann einfach nicht. Sie steckte das Smartphone zurück in die Tasche und starrte aufs Meer. Die Menschen mögen das Rauschen des Meeres, sie schauen den Wellen zu und glauben, dass ihnen das irgendetwas nützt. Beim Entspannen, beim Abschalten. In ihrem Leben. In ihrem Luxus-Urlaub-Leben. Fuck you, Meer! Ich brauch dich nicht. Sie holte das Smartphone wieder aus der Tasche heraus.
“I’m so sorry”
Sie legte sich auf dem Rücken zurück in den Sand und das Telefon auf ihren Bauch. Pling. Sie hielt sich den kleinen Bildschirm dicht vor die Augen, die an den Rändern noch immer von Sand und Sonnenöl verklebt waren.
“…”
Ich kann das jetzt einfach wirklich wirklich nicht, dachte sie. Dann krochen ein paar trockene Tränen in ihr hoch. Das kann man alles gut hinunterschlucken, immer mit Sand nachspülen, mit Sand, mit Sand. Der schöne, warme Sand. Sie überlegte kurz, wischte auf dem Bildschirm hin und her.
“Schreib mir bitte nicht mehr”
“Bitter nichht mehr. Bye!!”
Sie wischte sich frischen Sand in die Augen, während sich ein kleines salziges Rinnsal den Weg über ihre Wangen suchte. Dann legte sie das Telefon neben sich auf den Boden, drehte sich wieder um und vergrub das Gesicht in der Mulde mit den kleinen Nasen-Canyons von vorhin. Das Meer rauschte in ihren Ohren, vielleicht war es auch der Wind oder das Blut, das durch ihren Kopf strömte und jetzt den Anschein erweckte, dringend irgendwo raus zu wollen.
“Hey, steh doch mal auf hier. Die Leute schauen schon.” Eine Männerhand strich über ihren Rücken. Sie bewegte sich nicht. “Um 17 Uhr werden wir in der Club Lounge erwartet. Vielleicht möchtest du dich noch frisch machen.” Er sagte es nicht als Frage. Es war ein Befehl. Sie bewegte sich nicht. “Ich seh dich dann dort.” Die Hand zog sich von ihrem Rücken zurück. Sie drehte sich um.
Sein Gesicht verschwand hinter den Sonnenstrahlen, die durch den Palmenschatten fielen. Von seinen nassen Haaren fielen zwei kleine Tropfen auf ihre Beine. Ihr Blick fixierte sein weißes T-Shirt. “New Order” stand darauf zu lesen. Ich hasse dich, dachte sie. Dann nickte sie ihm zu.
Shine your teeth til meaningless and sharpen them with lies