Warpaint – Beetles
Ich kann dich hier einsperren, oder du kommst wieder mit rauf. Ich kann dir das jetzt erlauben, oder ich kann mich mal durchsetzen. Ich kann ein Bier bestellen oder ein Glas Wein. Sie kritzelte die Sätze auf eine mit Tortenresten verklebte, gelbe Serviette. Ich kann den Schlüssel verschlucken, oder du lässt jetzt die Leine los. Ich kann dir das jetzt glauben, oder ich kann mal aufhören mich selbst zu belügen. Ich kann kein Brot essen und keine Suppe. Sie drehte die Serviette um, kratzte die Tortenreste ab, dann schrieb sie weiter. Das Leben ist kein Kindergeburtstag – though sometimes maybe it is.
“Ist hier noch frei?” Ja klar, jetzt quatschte sie also auch noch irgend so ein Typ an. Der Tag war schon schlimm genug, eigentlich. Da machte das dann auch nichts mehr, von irgend so einem Typen angequatscht zu werden, eigentlich. Na also bitte, soll er sich halt da hinsetzen. Sie blickte kurz von ihrer Serviettenkritzelei auf und nickte. “Danke.” Ja du mich auch, dachte sie.
Ich kann mit dir in den Park gehen, oder du bringst das nächste Mal dein Fahrrad mit. Ich kann einen Spagat machen, oder du stellst dich auf den Kopf. Ich kann… Ach shit, sie griff sich an den Kopf. Etwas hatte sich in ihren Haaren verheddert. Wieso immer bei mir? Wieso landen die immer bei mir? Jetzt fing das also wieder an. Sie wollte durch den Raum brüllen, sie wollte jemanden beschimpfen, sie wollte aufspringen und hinaus laufen. Aber nein, das konnte sie natürlich nicht. Tatsächlich hätte sie gekonnt, aber sie durfte nicht. Gut, dann bist du also wieder still. Ist ja auch egal, eigentlich. Sie zupfte weiter in ihren Haaren. Schließlich holte sie den kleinen Papierflieger, der sich darin verfangen hatte, heraus, faltete ihn auseinander, strich das Papier glatt und begann darauf weiterzuschreiben. Ich kann mich nicht im Spiegel anschauen, oder ich kann mich nicht durch ein Kanalgitter zwängen. Ich…
“Das hat jetzt lustig ausgesehen.” What the fuck. Der Typ konnte also nicht einfach an ihrem Tisch sitzen, nein, er musste auch noch ungefragt sein blödes Maul aufreißen. Sorry?! Sie riss ihren Kopf mit den Papierflieger-zerzausten Haaren hoch und starrte ihm in die Augen. Sie schob das Kinn nach vorne und starrte ihn an. Sie sagte kein Wort. “Tut mir leid. Tut mir echt leid.” Er versuchte ernst zu wirken, aber um seinen Mund zuckte ein angestrengt unterdrücktes Lachen.
Ihre Nerven lagen blank. Solche Nachmittage sollten allen eine Freude bereiten, aber in Wahrheit waren sie die Hölle. Zu viele Menschen in einem Raum, dachte sie, zu laut, zu grell. Aber sie musste herkommen, sie hatte eine Verpflichtung, sie hatte sich selbst die Verpflichtung auferlegt, sich an diesen Nachmittagen zu erfreuen. Denn das war schließlich die Idee, das war der Zweck, der Sinn sogar! Freu dich jetzt, freu dich jetzt, verdammt nochmal, freu dich, dass du heute hier sitzen kannst! Sie bemerkte nicht, dass sie sich selbst mit dem roten Filzstift auf den Arm schlug. “Alles ok?” Der Typ konnte einfach nicht die Fresse halten. Sie griff nach links über den Tisch, zog einen großen Teller mit Erdbeertortenstücken an sich heran, ballte ihre rechte Hand zur Faust und: Yeah. Mitten in den Scheiß hinein. Die Tortenstücke flogen quer in alle Richtungen, ein paar Cremefüllung-Spritzer knallten ihr direkt in die Augen. Es fühlte sich so gut an. Mehr, mehr, mehr, dachte sie. Dann griff sie zu der voll geschriebenen, gelben Serviette und tupfte sich das Gesicht ab.
“Welche sind deine?” Der Typ neben ihr schien von ihrem Kuchenmassaker völlig unbeeindruckt. Das regte sie auf. Wie konnte er jetzt von etwas völlig anderem reden, wieso fragte er sie überhaupt nicht danach, was gerade passiert war? Sie starrte ihn wieder an. Sie sagte wieder nichts, deutete mit dem Kopf auf die andere Seite des Raumes, dann murmelte sie: “Nur einer.” Er blickte in die angedeutete Richtung, nickte und drehte sich ein Stück nach hinten um. “Zwei.” Das schien ihm jetzt ein wenig unangenehm zu sein. Seltsam, dachte sie, sehr seltsam.
Seltsam auch, dass sie plötzlich Lust verspürte, mit ihm zu reden. Das war eigentlich nicht ihre Art und heute, an diesem bunt gemischten Nachmittag, da war das schon gar nicht ihre Art. Eigentlich. Wieso eigentlich nicht? Sie überlegte, wie sie das spärliche Gespräch mit ihm fortsetzen könnte. Wie so oft fiel ihr nichts ein. Also gut, aber starren, starren geht. Sie richtete sich auf, nahm eine Hand voll Erdbeertortenreste, stopfte sie sich in den Mund und rückte näher an ihn heran. Gut so, das klappt, dachte sie. Er starrte zurück.
Ich kann dich jetzt für immer so anstarren, oder ich kann dich jetzt für immer so anstarren, dachte sie. Sie war so unfassbar glücklich. Das war jetzt mal richtig gut, fast so gut wie die Erdbeertorte, deren Reste noch immer ihren Mund verklebten. Das darf nie mehr aufhören, das muss jetzt so bleiben. Wir gehen hier nicht mehr raus. Sie starrte und starrte ihn an. Ihr Typ, also ihr Typ war er ja eigentlich nicht. Aber das war jetzt schon ein anderes Level, das war mal richtig gut. Jetzt bloß nichts falsch machen, dachte sie.
Von der anderen Seite des Raumes näherten sich Schritte. Sie wollte sich nicht umdrehen, sie wollte die Schritte verdrängen. Sie strengte sich unglaublich an, die immer näher kommenden Schritte zu verdrängen. Wie lange noch, wie lange noch, wie lange noch? Ihr wurde heiß. Jetzt bloß nichts falsch machen, dachte sie. Starr, starr, starr. “Es ist schon halb fünf. Gehen wir dann mal?” Aus. Es war vorbei. Ein Mann mit weißer Hose und weißem Shirt stellte sich neben sie, strich ihr behutsam über die Schulter und sagte: “Happy Hour. Dein Cocktail wartet.” Sie verzog den Mund zu einem zynischen Lächeln und erhob sich. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Jeans übersät war mit kleinen weißen Cremefüllung-Spritzern. Polka Dots sind wieder in, dachte sie.
“MMmmhh. Ciao.” Er sagte es mehr als Frage. “MMmmhh Ciao?” Sie starrte bloß weiter, während der weiß gekleidete Mann neben ihr noch einmal auf die Uhrzeit verwies. Sie hätte so gerne etwas wirklich Phenomänales gesagt, etwas Episches, etwas, das man am Ende von guten Filmen so sieht. Aber ne. Nichts. Ein starres Nicken noch zum Abschluss, dann setzte sie sich langsam, geradezu in Zeitlupe, in Bewegung. In Richtung Ausgang. Was für ein Witz. Sie nannten es Ausgang, dabei fing dahinter erst alles richtig an. Da war man dann erst drin.
“Hey!” Sie drehte sich noch einmal zu ihm um. “Was bist du?” Er verdrehte kurz die Augen und rief: “Stufe zwei.” Sie lächelte. “Cool. Ich auch.”
Oh my God I’m mad at it